Die Taschen meiner Schwiegermutter

Taschen an Kleidungsstücken sind zugegebenermaßen ein seltsam wiederkehrendes Thema in meinem Leben. Warum beispielsweise sind proportional gesehen die Taschen an Kleidungsstücken für Neugeborene größer als die an vielen Kleidungsstücken, die für Frauen gemacht werden? Mein Baby kann seine komplette Hand bis zum Handgelenk (oder mehr!!!) in seiner Tasche versenken, in meine Jeans passen meine Finger gerade mal bis zum mittleren Gelenk. Das ist doch Unsinn! Babys brauchen keine Taschen…

Erwachsene hingegen benötigen wirklich Taschen. Ich persönlich löse das Problem, indem ich lächerlich große Handtaschen mit mir herumtrage, und zwar beinahe immer, wenn ich das Haus verlasse. Meine Schwiegermutter hingegen hasst Handtaschen. Wann immer es sich vermeiden lässt, hat sie keine dabei. Das bedeutet allerdings natürlich nicht, dass sie nicht jede Menge Zeug dabei hätte, eben wie eben die meisten erwachsenen Menschen. Dieser Umstand wirkt sich massiv auf die Auswahl ihrer Jacken aus, denn eines der Hauptkriterien sind eben Taschen. Die müssen nämlich groß und zahlreich genug sein, um neben den Standard-Ausrüstungsgegenständen aller modernen Menschen auch noch die Utensilien für die besonderen Anforderungen des Landlebens und der Tierbesitzerin aufzunehmen.

Hier beginnt das Abenteuer… die Taschen sind nämlich meist riesig und erinnern irgendwie ein wenig an Narnia. Es ist nie so ganz klar, was einem dort begegnen wird. Auf der Suche nach dem Autoschlüssel wühlte ich mich eines Tages durch eine bunte Mischung an Hundeleckerlie (Pansen und Fleischwurst), Einkaufszetteln, Hundekotbeutel, Taschentüchern, Pflanzenklips und Desinfektionsmittel. Dabei wickelt sich ein Halsband um meine Hand und ein einsames Gummibärchen bleibt am Handrücken kleben.

Wenn wir draußen werkeln, geschieht es dafür dann auch schon mal, dass sie beläufig eine Rolle Bindedraht, eine Gartenschere und ein Paar Handschuhe aus einer der Taschen zieht, ein Feuerzeug und eine kleine Zange aus der anderen… und beim Weg über die Wiese ganz nebenher einen Hundeball in einer dritten Tasche verschwinden lässt.

Das (bisher) Lustigste geschah allerdings vor einer Weile bei einem Spaziergang im Wald. Es war nicht unbedingt warm und ziemlich matschig und wir liefen einen Waldweg entlang, in den eine größere Maschine tiefe Furchen gefahren hatte. Das Kind lief Schlangenlinien zwischen Bäumen hindurch und durch den einen oder anderen Graben, die Hunde folgten, es war also eine lustige Runde. Ich weiß gar nicht mehr genau, aus welchem Grund, vielleicht brauchte eine von uns ein Taschentuch, oder einer der Hunde benötigte ein Leckerchen… jedenfalls griff meine Schwiegermutter während der Unterhaltung in ihre Jackentasche. Abrupt blieb sie stehen. „Oh.“ Ich drehte mich erschrocken zu ihr hin, um dann Sekunden später mitten im Wald, in der Kälte und der Abgeschiedenheit einen Lachanfall zu bekommen.

Aus der Tasche ihrer Jacke beförderte meine Schwiegermutter eine schleimige, halbtransparente Masse mit einem gelben, kreisrunden Wubbel in der Mitte. Ihre Hand tropfte und einige harte, unterschiedlich große Brösel fielen dabei herunter. Ein Ei!

Sie hatte morgens im Hühnerstall mal wieder die Hände voll gehabt und in einer ihrer klassischen Handbewegungen das Ei in der Jackentasche verschwinden lassen. Das sollte dem armen Ei zum Verhängnis werden.

Als ich meine Schwiegermutter gestern nach diesem Ereignis fragte (sie weiß, dass ich über sie schreibe), meinte sie nur trocken: „Ich kann mich daran jetzt nicht so genau erinnern, aber Eier habe ich schon in allen möglichen Aggregatszuständen in meinen Jackentaschen gefunden…“

So sind sie, die Taschen meiner Schwiegermutter: Gehaltvoll und unterhaltsam.

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